Paula Modersohn-Becker

Drei Kinder an einem Hang sitzend mit Hund und Pferd
1901

Paula Modersohn-Becker, Drei Kinder an einem Hang sitzend mit Hund und Pferd

Tempera auf Malkarton auf Holz

40,6 × 52,5 cm

Datiert

Aufgenommen in den in Vorbereitung befindlichen Nachtrag des Werkverzeichnisses der Gemälde von Günther Busch und Wolfgang Werner

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Expertise

Wolfgang Werner, Paula Modersohn-Becker Stiftung, Bremen

Provenienz

Privatsammlung Niederlande (vor dem Zweiten Weltkrieg erworben); durch Erbschaft an die Vorbesitzer

Ausstellungen
  • Galerie Ludorff, "40 Jahre 40 Meisterwerke", Düsseldorf 2015
  • Kunsthaus "Tom Kyle" Thesing & Co., "Eröffnungsausstellung, Paula Modersohn, Gemälde", Hamburg 1924

»Habe heute mein erstes Pleinair-Portrait in der Lehmkuhle gemalt. Ein kleines, blondes, blauäugiges Dingelchen. Es stand zu schön auf dem gelben Sand. Es war ein Leuchten und Flimmern. Mir hüpfte das Herz. Menschen malen geht doch schöner als eine Landschaft«1. Mit diesen Worten beschreibt Modersohn-Becker ihre Begeisterung und künstlerische Entwicklung während ihres ersten Auf­­enthaltes in Worpswede im Jahre 1897. Im Herbst des folgenden Jahres lässt sich die junge Künstlerin endgültig in dem Moordorf, 20 Kilometer vor den Toren der Stadt Bremen gelegen, nieder. Ein Drittel der mehr als 700 bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1907 in Worpswede und unter dem Eindruck wiederholter Parisaufenthalte entstandenen Gemälde kreist in vielgestaltiger Weise um das Sujet des Kindes.

Ihre kleinen, unbedarften Modelle findet Modersohn-Becker nur ein paar Schritte von ihrem Wohnhaus entfernt, welches sie seit 1901, nach der Heirat mit dem verwitweten Otto Modersohn, an der Dorfstraße bewohnt. In den verlassenen Waisenkindern des Armenhauses und den ärmlichen Nachbarskindern der hart arbeitenden Bauern und Torfstecher entdeckt sie den schlichten, un­verblümten Ursprung des menschlichen Daseins im unaufhaltsamen Kreislauf des Werden und Vergehens. Eine Verklärung bzw. Stilisierung der bäuerlichen Armut und der dörflichen Kinderschicksale liegt ihr dabei jedoch ebenso fern wie die Kritik an sozialen Missständen. Vielmehr gibt sie durch einen nach innen gerichteten Blick tiefe menschliche Empfindungen wieder und bringt damit den Wesenskern der Kinder in dem sie umgebenden Le­bensraum eindrücklich zum Vorschein.

Oftmals bettet die junge Künstlerin ihre Figurenkomposition in die freie Natur ein. Die typische Worpsweder Landschaft mit den Torfmoorkanälen, Birkenwäldern, den Sandkuhlen und Blumenwiesen ist tragender Bestandteil der Kinderbildnisse, untrennbar sind die kleinen schicksalsergebenen Kreaturen mit diesem Land­strich verbunden. Auch unser Gemälde »Drei Kinder an einem Hang sitzend mit Hund und Pferd« zeigt eine Kindersituation in dieser charakteristischen Landschaft. Vor einem kräftigen, Himmel und Erde verbindenden Birkenstamm sind drei in inniger Verbundenheit beieinander sitzende Kinder dargestellt. Sie hocken auf einem abfallenden Wiesenstück am Rande des Teufelsmoores und sind nah an den Betrachter herangerückt. Ein bunt gefleckter Mischlingshund hat sich zu ihnen gesellt. Im Hintergrund durchquert ein Reiter die ländliche Szenerie und schließt den kompositorischen Kreis: Mensch, Tier und Pflanze sind in ihrem Miteinander wiedergegeben und zu einer Einheit zusammengefasst.

Paula Modersohn-Becker geht es dabei nicht um eine an der Oberfläche verharrenden Wiedergabe des Sichtbaren. Sie will vielmehr die kindliche Seele ergründen, das Denken und Fühlen der Jungen und Mädchen nachempfinden. Bis ins Innerste einfühlsam durchdrungen und in einer expressiven, abstrahierten Formensprache charakterisiert sie diese als eigenständige Persönlichkeiten. Die Körpersprache wird hierbei zum entscheidenden Ausdrucksträger. Mit schützender Geste schließt das Mädchen den auf ihrem Schoß kauernden jüngeren Bruder in eine Umarmung ein. Und auch das andere Mädchen hat die Hände ineinander geschoben. Die freundschaftliche Verbundenheit der schutzbedürftigen Kinder erhält durch diese kreisenden, sich rundenden Bewegungen eine formale Umsetzung. Sie sind als Symbol für die Sehnsucht nach Geborgenheit und Fürsorge sowohl der von Modersohn-Becker im Bild eingefangenen kindlichen Wesen als auch seitens der Künstlerin selbst zu begreifen.2 Die schlichte, dem Schicksal ergebene Existenz der Kinder findet ihre Entsprechung in der weit nach oben gesetzten Horizontlinie. Nur ein schmales blaues Band deutet den Himmel an, so dass das Augenmerk auf das Wiesenstück mit der zentralen Kinderdarstellung gerichtet wird. Die Farbwahl unterstreicht zudem die Erdverbundenheit der Worpsweder Kinder: warme Braun-, Rot- und Rosatönen sowie ein verhaltenes Grün bestimmen das gedämpfte Kolorit. Dabei wurde zum Teil der Bildträger, ein rotbrauner Malkarton, in die Farbkomposition einbezogen.

»Du sahst die Kinder so von innen her, getrieben in die Formen ihres Daseins«3, so kennzeichnet der Zeitzeuge Rainer Maria Rilke die einfühlsame Sicht von Paula Modersohn-Becker auf die Welt der Kinder und setzt der tragischerweise im Wochenbett verstorbenen Künstlerin ein literarisches Denkmal.

1 Zitiert in: Günter Busch/Liselotte von Reinken (Hg.), »Paula Modersohn-Becker – In Briefen und Tagebüchern«, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1979, S. 104.

2 Vgl. Christa Murken, »Paula Modersohn-Becker – Kinderbildnisse«, Ostfildern-Ruit 2004, S. 6ff.

3 Rainer Maria Rilke, »Requiem an eine Freundin«, Leipzig 1909.

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